Klavierpoesie: die Philosophie, die Liebe und das Leben

Poesie der Gegenwart, Belange der Gegenwart

 

Poesie, Philosophie und das Leben

Klavierpoesie = Komposition und Klavier: 
Alexandra Danshova

Dichtung und Deklamation:
Ingo Munz

Wenn Alexandra Danshova an ihrem Klavier eigene Kompositionen zum Besten gibt und dazu Ingo Munz seine Lyrik teils spricht, meist deklamiert und selten singt, dann rührt sich womöglich weniger Wohlwollen und ein Gefallen als vielmehr ein mächtiges Staunen. Denn immer dann, wenn der Zuhörer sich mit einem Stück zu arrangieren beginnt und vielleicht Finger, Kopf oder Füße animiert, im Takte mitzugehen, immer dann geht mal der Text, mal die Musik wie mit einem Schwert dazwischen und zerschneidet – so zu sagen –„Erwartungen“.

Was sich nach harmloser Sonntagnachmittags unterhaltung anhört, entpuppt sich als philosophierender Blick auf nicht weniger als das Leben – mit prächtigem Pathos, aber auch mit Arschloch-Qualitäten.

In ein wohliges Bad aus Gänsehaut fühlte ich mich getunkt, wenn in der meditativen Erregung die Gedanken zu fliegen beginnen und Ingo Munz sogar zu singen anfängt.

Simon Meier-Vieracker

Prof. Dr. phil. , TU Dresden

Eine kleine Geschichte über Klavierpoesie

Ich hab‘s nicht weit, ungefähr, das heißt ziemlich genau ein zigarettenlängelanger Fußmarsch. Die etwa acht Schritte hin zum Isenbergplatz, das Büdchen, das Click rechts liegen lassen, dann über die Kronprinzenstraße und vorbei an den beiden mächtigen Glocken, die seit ein paar Jahren den Vorplatz der ehemaligen Kirche St. Engelbert zieren, wodurch sie übrigens, so auf Augenhöhe mit dem Betrachter stehend, tatsächlich beeindruckender wirken als in irgendeinem Glockenturm. Zwei Mal noch rechts abbiegen. Schon gelange ich über den Nebeneingang in den Bauch der Kirche.
Bereits im Flur erste Töne und Klänge. Hier ein lupenreiner Sopran, dort, aus dem Säulensaal, die sanfte Wucht eines ganzen Orchesters. Jetzt stehe ich vor der anvisierten Türe, klopfe an und vernehme schließlich ein etwas in die Länge gezogenes »Herrrein«. Das vielleicht 20m² große Zimmer ist schnell beschrieben: ein grüner Linoleumboden, zwei alte Aktenschränke, ein paar Stühle, meist Bürostühle, eine unsagbar hässliche Garderobe, ein Orchesterpult und an der Stirnseite, unter einem kleinen, von eisernen Gitterstäben behüteten Fenster, ein Schreibtisch, davor, selbstverständlich, das Klavier. An diesem Klavier sitzt, mit dem Gesicht zur Türe, Alexandra Danshova.
Wir treffen uns etwa zweimal die Woche.

Das ist Alexandra Danshova

Alexandra Danshova, geboren in Tschebarkul (Russland), aufgewachsen in Moskau und Wladiwostok, studierte Komposition an der Staatlichen Musikakademie in Minsk. Seit 2007 arbeitet sie als Komponistin und Musiklehrerin in Essen.

Alexandra Danshova: Klavierpoesie

Eine kleine Philosophie über Klavierpoesie

„Richtige Lieder“, die auf Wiederholung und Refrains setzen, Lieder, die ein spezielles Metrum erfordern, findet man im Repertoire von Klavierpoesie nur selten. Viel häufiger wird die Lyrik musikdramaturgisch vorbereitet, begleitet und abschließend veredelt. Immer gelinge es Alexandra Danshova, so zumindest schwärmt Ingo Munz, die Gedichte und deren Wirkung fundamental zu erhöhen.

Der Zuhörer darf also weniger darauf hoffen (und muss auch nicht befürchten), Lieder, Kunstlieder im Schubert’schen Stile vorgesetzt zu bekommen. Tatsächlich sucht man in der Poesie des Ingo Munz vergeblich nach dem Li-i-i-ndenbaum, der am Brunnen vor dem Tore steht; vielmehr geht man in seinen Texten „Johngecaget in den Supermarkt!“ oder schleicht bisweilen „Makellos unmoralisch“ hindurch arg irdische Belange.

Die Philosophie also: Klavierpoesie verbindet zeitgenössische Lyrik mit zeitgenössischer Komposition. Diese vielleicht anachronistisch anmutende Konstellation kommt zudem mit nur geringer Theatralik aus. Ja, es geht halbwegs ernst zu! Der Zuhörer soll dennoch nicht, anders als ein Setting „Klavier, Spieler und Interpret“ vielleicht vermuten lässt, nur still und bewegungslos im Stuhle hocken, sondern, so zumindest wünscht es sich Klavierpoesie, durchaus munter, stehend oder sitzend, auch trinkend, auf die mannigfach dargebotenen Emotionen reagieren. Er soll, gerade weil er ganz gewiss und dann und wann anderer Meinung sein wird, inspiriert werden zu vielleicht nicht neuen, zumindest aber zu anderen Gedanken. Er soll laut staunen dürfen!

Ich habe absolut nichts gegen Schubert, im Gegenteil! Wer kann sich schon der Winterreise entziehen? Wem könnten bei „Nacht und Träume“ nicht die Tränen einschießen? Das ist alles so fulminant, das ist so unglaublich gerechtfertigt und das ist in Sachen Musik und Lyrik tierisch großartig. Es ist aber auch zweihundert Jahre alt, es ist ungefähr schon zig Millionen Mal von ungefähr zig Millionen Menschen gespielt und interpretiert worden. In dem Genre Kunstlied liegt ein Überraschungsmoment, das so hoch ist wie die Berge des Wattenmeers.

Klavierpoesie dagegen ist zeitgenössisch. Zeitgenössische Komposition verknüpft mit zeitgenössischer Dichtung. Eben keine Lindenbäume, sondern beispielsweise Portemonnaie-Pragmatismen. Und dieses Wort packen Sie jetzt in ein Kunstlied! Das ist anders! Naturgemäß kann ich nicht singen wie Fischer-Dieskau, brauche ich aber auch nicht, denn ich bin Dichter und kein Sänger. Ich singe nicht. Ich spreche auch nicht und ich deklamiere/rezitiere nicht wirklich. Ich mache einfach irgend etwas, das dem Dunstkreis Kunstlied, Lyrik, Komposition, Klavier et cetera entstammen muss. Aus Klavierpoesie ist etwas erwachsen, das ich nicht beschreiben kann, etwas, das nicht an der Straße der Worte liegt. Schubert (und Wilhelm Müller) liebe ich trotzdem.

Ingo Munz

⇒ Dietrich Fischer-Dieskau

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»Furios! Die Dichtung lebt. Ein bezauberndes Zusammenspiel.«

Videos von Klavierpoesie

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⇒ Die Kunst, interpretiert von Klavierpoesie

Manchmal vermag man Gespräche mit guten Freunden noch Wochen später regelrecht aufzusagen, sie zu protokollieren, sie nachzusingen. Legt man sich richtig ins Zeug, übertreibt ein wenig hier, fügt dort ein Wörtchen hinzu, so könne eine recht hübsche Poesie entstehen.

⇒ Konventionelle Romantik

So richtig romantisch ist die Welt erst dann, wenn wir mindestens sieben Milliarden Menschen ungesühnt lieben dürfen, heißt es in dem Roman »Das Nicht und die Liebe«. Dagegen ist dieses kleine Gedicht ein echtes Loblied auf die zweieinige Liebe.

⇒ Melancholie von Klavierpoesie

Arbeiten von morgens bis abends, das Haar über Lichtungen kämmen und zusehen, wie das Meer an Möglichkeiten schrumpft auf eine armselige Pfütze des Selbstmitleids. Vorsicht! Dichtung kann auch runterziehen!