Ganz oben unter Schnürboden

Des multimedialen Dramas zweiter Aufzug, erste Szene

Ganz oben unterm Schnürboden: Lovis Löwenthal, Ingo Munz, Goethe

Lovis Löwenthal, Ingo Munz und Johann Wolfgang von Goethe hängen ganz oben unterm Schnürboden

Auerbachs Keller ist keine Schenke, sondern ein Sex-Club. Man treibt es recht bunt. Johann Wolfgang von Goethe (JWvG) baumelt neben Ingo Munz (IM), der neben Lovis Löwenthal (LL).

Ganz oben unterm Schnürboden: Skizze

JWvG:
Gude!

IM:
Guten Tag!

LL (geht leicht ins Hohlkreuz):
Hallo, sehr erfreut!

IM:
Hab ich’s nicht gesagt? Irgendeinem wird ganz gewiss in den Arsch gefickt.

LL:
Sie wollen uns die menschlichen Abgründe zeigen.

JWvG:
So hab isch des abba sellemols net uffgeschribbe. Des sollt ein fotznomales Wertshaus sein und kein Pimbernschubben!

IM:
So ist das. Wer tot ist, hat nichts mehr zu melden.

JWvG:
Isch werd dem verantwordlischen Eumel eins übern Latz ziehn!

Man lauscht den Versen:
Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht bequemen,
Den Spaten in die Hand zu nehmen.

LL:
Verzeihung, Herr Geheimrat, aber da sich nun einmal Gelegenheit bietet: Wie meinen Sie das? Wie ist es denn nun? Handgreiflich werden oder die Faust in der Tasche ballen?

JWvG:
Des weiß isch doch ach net! Isch bin ja beim Franzos gewesen und hab mir des ahngschaut, also wie’s is, wenn die Leut den Schbahde in die Hand nemme un sisch einanner auf die Köpp haun. Abber draus worn is ja ach nix. Da bin isch halt widder zurück, zum Karl August, des war e sischere Sach

Herzog zu Sachsen und Goethe: Schnürboden

IM:
Ja, das war die richtige Entscheidung. Denn Revolutionen sind nichts für Hochwohlgeborene. Es geht ihnen die Leidenschaft ab, etwas verändern zu wollen. Die Ungerechtigkeiten, wie sie der kleine Mann täglich erlebt, sind ihm fremd und fremd sind ihm also Revolutionen.

JWvG:
Isch hab den kleinen Mann ganz genau studiert, hab ihn mir ganz genau ahngeschaut. Isch weiß, was in dem seine Birn herumschwirrt.

LL:
Das wissen Sie nicht! In Auerbachs Keller zu sitzen mit prall gefülltem Portemonnaie ist etwas ganz anderes wie wenn Ebbe herrscht im Geldbeutel.

IM:
Und daheim schreien hungrige Kinder.

JWvG:
Jetz horsche Se mol: Sie sehn ach net grad aus wie einer, der den Schbahde gern in die Hand nemme würd. Un was wolle Se denn mit denne Kinner? Des is un bleibt Weibersach!

Inzwischen ging auf der Bühne das Licht an und wieder aus: Szenenwechsel! Die Hexenküche ist ein Coffee Shop. Man lauscht den Versen:

Au! Au! Au! Au!
Verdammtes Tier! Verfluchte Sau!
Versäumst den Kessel, versengst die Frau!

IM:
Eine schwache Stelle, eine ganz schwache. Geben Sie’s nur zu! Und wirklich besser wird es ja nun auch nicht mehr.

JWvG:
Ei großer Gott freilisch! Des hätt isch übberabbeide müsse. Abber wahrscheinlisch war isch da mit meim Kopp scho widder ganz woanners.
IM:
Bei der Iphigenie, vermute ich.
JWvG:
Des kann gud sein.

LL:
Die ist ja auch gut! Vor allem der Anfang, ein Gedicht.

IM:
Der Anfang, ja. Aber dann? Wie hier, im Faust, dann plätschert es ein wenig aus.
JWvG:
Sie scheine sisch ja ganz besonners gud auszukenne. Dabei möscht isch e mal wisse, wie der fotzdrockene Scheiß heißt, den mir hier spiele.
IM:
Ganz oben unterm Schnürboden.
JWvG:
Da müsse Se jetz abber e mal Zuch neikrigge. Isch hab hier e Scher dabei, die drücke Se ihrm Adlatus in die Hand und scho gehe mir e bissche mehr in Rischtung Dramma.
LL:
Das ist doch sehr erzwungen. Aber gut …
LL versucht mit der Schere in der Hand sich nach oben zu hangeln, scheitert aber kläglich.:
LL:
Ich schaff’s nicht.

IM:
Und mir wird es auch nicht gelingen. Mein Kopf fühlt sich an wie ein siedender Teekessel, mir ist speiübel, die Lage ist jetzt schon dramatisch, ganz ohne ihre blöde Schere.

JWvG:
Ei stellt eusch doch net immer so ahn, ihr Jammerlabbe, ihr Hölderlins und Heines. Erfreut eusch an der Perspektive! Wann kammer de Leut scho e mal so uffn Kopp schaun?

IM:
Viel wichtiger wäre doch, sich selber auf den Kopf schaun zu können. O, wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte! Büchner, Büchner, Sie kennen doch Büchner?

JWvG:
Der is’n Fotz im Vergleisch zu mir. Was der gschribbe had, had isch mit sibbzehn scho beisamme. Die baar Stücksche, die baar Bamphlete. So wie Sie, Herr Munz, e baar Stücksche, e baar kotze Brosatexte, nix Gewisses, e baar dahingerotzte Verse un schlambige Romane. Abber e große Glabbe, die habbt er alle, abber werklisch vorzuweise habbt er nix, ahn Scheißdreck habbt er vorzuweise.

IM blickt betreten aufs Bühnengeschehen; von dort vernimmt man:

Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

LL:

Mit Verlaub, Herr Geheimrat, dem »Teufel im Erdenloch«, nur so als Beispiel, wird die Aufführung verweigert, weil er politisch nicht korrekt ist, weil er einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Schurken und so genannten Terroristen einfordert …

Der Teufel im Erdenloch, von Ingo Munz

JWvG:
Ei un? Mei Wahlverwandschafte hamm ach net in die Zeit neigebasst. Da hatt sisch ach kei Sau für inderessiert.

IM:
Die Wahlverwandtschaften finde ich übrigens spitze. Und zwar vom Anfang bis zum Ende. Die sind modern, bis heute. Die sind anders. Das ging in die richtige Richtung. Die sind fast amorkratisch.

JWvG:
Amorkraddisch?

IM:
Lovis, sag’s Du ihm!

LL:
Die Bewegung Amorkratie. Jetzt!, Herr Geheimrat, ist eine Organisation, die keine andere Aufgabe hat als den Menschen zu sagen: Es liegt an dir, zu lieben.

Lovis Löwenthal empfiehlt

Infos zur »Bewegung Amorkratie. Jetzt« gibt es beispielsweise hier.

JWvG:
Kommste uff die Welt, magste die Mensche, gehste widder, magste se nimmer. So eifach is des! Abber bleibe mer beim Thema. Isch habe des mit den Wahlverwandschaften genau beobachded. Da bleibt der nix anners übberisch, als es Maul abzubutze und die Konsequenze zu ziehn. Also, wenn isch Ihne ein Tipp gebbe daff und Sie nach vonne komme wolle: Hörn’Se uff mit dem Versuch, die Leut besser mache zu wolle. Des habbe se net gern. Früher wie heut. Denne müsse se ein uffschwatze, weil denne die Wecklischkeit am aller wenigsten inderessierd, ein Scheißdreck nämlisch. Ahn Gaul müsse Se denne uffbinne, des habbe se gern!

Ganz oben unterm Schürboden – das multimediale Drama
mit Lovis Löwenthal, Ingo Munz und Johann Wolfgang von Goethe